Dienstag, 9. Dezember 2014

Gianrico Carofiglio - "Das Gesetz der Ehre"

Nach meinem Aufruf nach Buchempfehlungen bei Twitter und Facebook erreichten mich zahlreiche Vorschläge. Einzige Vorgabe war, dass es nichts kitschiges sein durfte. Dafür gerne spannend. Nachdem ich einige Titel aussortiert habe, die ich entweder schon gelesen habe oder als uninteressant abstempelte, blieb ich schließlich bei Gianrico Carofiglio’s „Das Gesetz der Ehre“ hängen. Empfohlen wurde mir dieses Buch von meinem Chef.
Ein kurzer Auszug seiner Bio aus dem Buch:
„Gianrico Carofiglio wurde 1961 in Bari geboren und arbeitete in seiner Heimatstadt viele Jahre als Antimafia-Staatsanwalt. 2007 war er als Berater der italienischen Regierung für den Bereich organisierter Kriminalität tätig. Seit 2008 ist Gianrico Carofiglio Mitglied des italienischen Senats. (…)“
Das Ganze klang für mich nach einem italienischen John Grisham. Was okay ist, denn ich lese gerne Grisham. Zunächst hatte mich diese Vorstellung jedoch abgeschreckt. In der Vergangenheit habe ich zu viele King und Grisham Bücher nacheinander gelesen, was – obwohl ich beide Autoren sowohl schätze als auch jederzeit empfehlen würde – zu einer leichten Lese-Allergie geführt hat. Aber jeder Autor ist anders und so kann auch die gleiche Geschichte auf ganz unterschiedliche Arten erzählt werden. Ich glaube an Individualität.
Ich gab ihm eine Chance.
Gianrico Carofiglio hat in Italien bereits mehrere Bücher veröffentlich, davon vier hier in Deutschland, wiederum drei davon mit seiner fiktiven Hauptperson Guido Guerrieri, seines Zeichens Anwalt. Das Gesetz der Ehre ist beim Goldmann-Verlag als Taschenbuch erschienen.
Die Geschichte handelt von besagtem „Avvocato“ Guerrieri und seinem Kampf gegen Intrigen und sogar der Mafia. Und als wäre dies nicht genug, so muss er schnell feststellen, dass es sich bei seinem vorgeblich unschuldigen Mandanten um eine alte, längst nicht verarbeitete Begegnung aus alten Kindertagen handelt, die ihn in einen persönlichen Gewissens- und Interessenskonflikt verstrickt.
Der Nr. 1 Bestseller aus Italien ist leicht verständlich und angenehm zu lesen. Ideal also für die Bahnfahrt nach einem langen Arbeitstag. Die Hauptfigur Guerrieri ist einem auf Anhieb sympathisch und auch wenn sich dieser hin und wieder zu gewissen Fehltritten hinreißen lässt (So versieht er zum Beispiel diverse Unterlagen gerne mit Notizzetteln und lässt diese überall rumfliegen. Einmal landete eines dieser Zettel beim Richter, welcher Guerriere sofort herzitierte. Der Grund war neben den Bemerkungen zu seinem Mandanten „Schwein“ und „Halunke“ außerdem noch „Schwuchtel“. Oder auch die Affäre mit der Ehefrau seines inhaftierten Mandanten.) muss man ihn einfach gern haben, wenn man erkennt, dass unter seiner scheinbar seriösen und unerschütterlichen Oberfläche eigentlich ein gewöhnlicher Mensch mit all seinen unerfüllten Wünschen, Sehnsüchten und auch Unsicherheiten steckt.
Ansonsten bleibt nur zu sagen, dass sich Carofiglio mit der Spannung doch sehr zurück hält. Eigentlich beginnt die Geschichte erst am Ende Spannung aufzubauen. Bis dahin ist sie eher unspektakulär und fast schon fad. Letztlich handelt die Geschichte eben doch nur von einem Mann, in dessen Wagen man auf seiner Heimfahrt vom Familienurlaub vierzig Kilo Rauschgift gefunden wurde. Um das Ganze etwas aufzupeppen wurde eine angehende Liebesbeziehung zwischen der Ehefrau des Mandanten und Guerriere gesponnen und das ganze noch mit unverarbeiteten Begegnungen aus dessen Jugend gewürzt. Alles etwas lasch geworden. Auf gerade mal 282 Seiten hätte man vermutlich sprachlich etwas gewitzter formulieren müssen, denn auch wenn mir die einfache Sprache gefallen hat, so ist die Kombi „flache Story + einfache Sprache + 282 Seiten“ nicht gerade das, was ich persönlich von guter Unterhaltung erwarte, geschweige denn von einem Nr. 1 Bestseller.
Wer also auch zuviel anspruchsvollere Lektüre hinter sich hat, ist zur Abwechselung mit diesem Buch gut bedient. Vielleicht werde ich mir in den nächsten Monaten noch die beiden anderen Abenteuer von Avvocato Guerriere anschaffen, bis dahin allerdings werde ich die Finger davon lassen.

Gianrico Carofiglio
„Das Gesetz der Ehre“
Als Taschenbuch erschienen im Goldmann-Verlag
Deutsch von Claudia Schmitt
ISBN 978-3-442-46792-1
€ 8,95 [D]
€ 9,20 [A]

Dienstag, 2. Dezember 2014

Geschichten zum Nachdenken

Dieses Buch kann man getrost als 2. Teil, als direkten Nachfolger seines Buches "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte" bezeichnen.
Wie auch im ersten Buch erzählt Jorge Bucay hier Geschichten. (Wer etwas über Jorge Bucay wissen möchte, schaut sich einfach hier meine erste Vorstellung dieses Autors an.) Anders als vorher allerdings hat man hier keine zwei Persönlichkeiten, die sich mittels dieser Geschichten verständigen. Jedes Kapitel ist eine in sich abgeschlossene Erzählung. Sie sollen uns lehren, uns zu verstehen geben. Womit ich mich persönlich dieses Mal weitaus schwerer getan habe. Selten hat der Titel eines Buches so sehr gepasst wie hier.
Wer für abends nette kleine Geschichten zum Einschlafen sucht ist hier definitiv falsch. Sie regen zum Nachdenken an, fordern auf sich auseinander zu setzen. Und ich gestehe: es gibt mindestens eine Geschichte (?Die Geschichte in der Geschichte?), die ich par tout bis heute nicht begriffen habe, und bin dennoch fasziniert.
Ich kann es in jedem Fall nur weiter empfehlen. Nicht unbedingt leichte Kost, aber sollte mit  seinen 137 Seiten auch niemanden überfordern.
Um euch auch wie beim letzten Mal einen kleinen Auszug zu präsentieren, habe ich dieses Mal lange suchen müssen. Jede einzelne Geschichte ist es wert erwähnt zu werden.
"Sich klarwerden"
(Seite 40)
"Ich sehe morgens auf.
Und gehe aus dem Haus.
Auf dem Bürgersteig ist ein sehr tiefes Schlagloch.
Ich sehe es nicht
Und falle hinein.
Am nächsten Tag
gehe ich aus dem Haus,
vergesse das Schlagloch auf dem Bürgersteig
und falle wieder hinein.
Am dritten Tag
gehe ich aus dem Haus und versuche
an das Schlagloch auf dem Bürgersteig zu denken.
Doch
ich erinnere mich nicht daran
und falle hinein.
Am vierten Tag
gehe ich aus dem Haus und versuche
an das Schlagloch auf dem Bürgersteig zu denken.
Ich denke daran,
übersehe es jedoch trotzdem
und falle hinein.
Am fünften Tag
gehe ich aus dem Haus.
Ich denke daran,
mich vor dem Schlagloch auf dem Bürgersteig
hüten zu müssen,
und hefte meinen Blick auf dem Boden.
Ich sehe es
und
falle trotzdem hinein.
Am sechsten Tag
gehe ich aus dem Haus.
Ich denke an das Schlagloch im Bürgersteig.
Ich halte danach Ausschau.
Ich sehe,
versuche darüberzuspringen,
aber falle hinein.
Am siebten Tag
gehe ich aus dem Haus
und sehe das Schlagloch.
Ich nehme Anlauf,
springe,
berühre mit der Fußspitze knapp die andere Seite,
aber eben nur knapp, und falle hinein.
Am achten Tag gehe ich aus dem haus,
sehe das Schlagloch,
nehme Anlauf,
springe
und erreiche die andere Seite!
Vor lauter Stolz, es geschafft zu haben,
mache ich Freudensprünge
und
falle wieder in das Loch.
Am neunten Tag gehe ich aus dem Haus,
sehe das Schlagloch,
nehme Anlauf,
überspringe es
und setze meinen Weg fort.
Am zehnten Tag,
nämlich heute,
wird mir klar,
dass es viel einfacher wäre?
auf der anderen Straßenseite
zu gehen."
Jorge Bucay
Geschichten zum Nachdenken
Fischer Verlag
ISBN 978-3-596-17691-5
€ (D) 8,95
€ (A) 9,20

Dienstag, 25. November 2014

Kommt, ich erzähl euch eine Geschichte

Ich habe mir vorgenommen, wenn ich ein Buch gelesen habe, darüber zu schreiben. Ich lese für mein Leben gern Bücher, aus allen Richtungen (bis auf wenige Ausnahmen allerdings keine Romanzen). Und vielleicht ist ja einer dabei, der das hier liest, auch gerne Bücher liest und sich darüber freut.
Heute habe ich ein interessantes Buch von Jorge Bucay zu Ende gelesen. Es heißt: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte".
Auf der Rückseite des Buchumschlages steht folgendes geschrieben:
 
"Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen. Erwachsenen, damit sie aufwachen."
 
Allein dieser Satz hat mein Interesse schon geweckt. Nicht zuletzt auch Gisela (meine Chefin), welche das Buch schon vor mir gelesen hat.
 In diesem Buch geht es um Demian, der zu einem Therapeuten ? Jorge ? geht, um sein Leben besser in den Griff zu bekommen und zu verstehen, was in der Welt dort draußen eigentlich vor sich geht. Erzählt wird aus Demian?s Perspektive. Jorge erzählt Demian Märchen und kleine Geschichten um ihm die Welt zu verbildlichen. In jedem Kapitel gibt es eine neue Story. Dabei geht es um Themen wie Gewohnheiten, Beziehungen, Gut und Böse, oder woher man weiß, ob einem eine Therapie überhaupt etwas nützt.
Jorge Bucay, Autor dieser Geschichte, wurde 1949 in Buenos Aires, Argentinien geboren und ist selbst ein angesehener Psycho- und Gestalttherapeut. Alle, die mit diesem Begriff ?Gestalttherapeut? nichts anfangen können, sollten das Buch lesen. Dazu gibt es auch eine nette und vor allen Dingen lustige Geschichte.
Ich habe jeden Tag vor dem Einschlafen immer noch zwei drei Geschichten gelesen und bin ein ums andere Mal mit einem verblüfften Kopfschütteln und einem kleinen Lächeln eingeschlafen.
Falls ihr dieses Buch auch gelesen habt, würde ich mich über Kommentare freuen. Alle anderen sind natürlich auch erwünscht.
Um euch die Sache jetzt auch etwas zu versüßen, lasst mich euch ebenfalls eine Geschichte erzählen:
 
"Als ich ein kleiner junge war, war ich vollkommen vom Zirkus fasziniert, und am meisten gefielen mir die Tiere. Vor allem der Elefant hatte es mir angetan. Wie ich später erfuhr, ist er das Lieblingstier vieler Kinder. Während der Zirkusvorstellung stellte das riesige Tier sein ungeheueres Gewicht, seine eindrucksvolle Größte und seine Kraft zur Schau. Nach der Vorstellung aber und auch in der Zeit bis kurz vor seinem Auftritt blieb der Elefant immer am Fuß an einen kleinen Pflock angekettet.
Der Pflock war allerdings nichts weiter als ein winziges Stück Holz, das kaum ein paar Zentimeter tief in der Erde steckte. Und obwohl die Kette mächtig und schwer war, stand für mich ganz außer Zweifel, dass ein Tier, das die Kraft hatte, einen Baum mitsamt der Wurzel auszureißen, sich mit Leichtigkeit von einem solchen Pflock befreien und fliehen konnte.
Dieses Rätsel beschäftigt mich bis heute. Was hält ihn zurück"
Warum macht er sich nicht auf und davon?
Als Sechs- oder Siebenjähriger vertraue ich noch auf die Weisheit der Erwachsenen. Also fragte ich einen Lehrer, einen Vater oder Onkel nach dem Rätsel des Elefanten. Einer von ihnen erklärte mir, der Elefant mache sich nicht aus dem Staub, weil er dressiert sei.
Meine nächste Frage lag auf der Hand: "Und wenn er dressiert ist, warum muss er dann noch angekettet werden?"
Ich erinnere mich nicht, je eine schlüssige Antwort darauf bekommen zu haben. Mit der Zeit vergaß ich das Rätsel um den angeketteten Elefanten und erinnerte mich nur dann wieder daran, wenn ich auf andere Menschen traf, die sich dieselbe Frage irgendwann auch schon einmal gestellt hatten.
Vor einigen Jahren fand ich heraus, dass zu meinem Glück doch schon jemand weise genug gewesen war, die Antwort auf diese Frage zu finden:
Der Zirkuselefant flieht nicht, weil er schon seit frühester Kindheit an einen solchen Pflock gekettet ist.
 Ich schloss die Augen und stellte mir den wehrlosen neugeborenen Elefanten am Pflock vor. Ich war mir sicher, dass er in diesem Moment schubst, zieht und schwitzt und sich zu befreien versucht. Und trotz aller Anstrengung gelingt es ihm nicht, weil dieser Pflock zu fest in der Erde steckt.
Ich stellte mir vor, dass er erschöpft einschläft und es am nächsten Tag gleich wieder probiert, und am nächsten Tag wieder, und am nächsten?. Bis eines Tages, eines für eine Zukunft verhängnisvollen Tages, das Tier seine Ohnmacht akzeptiert und sich in sein Schicksal fügt.
Dieser riesige, mächtige Elefant, den wir aus dem Zirkus kennen, flieht nicht, weil der Ärmste glaubt, dass er es nicht kann.
Allzu tief hat sich die Erinnerung daran, wie ohnmächtig er sich kurz nach seiner Geburt gefühlt hat, in sein Gedächtnis eingebrannt.
Und das schlimmste dabei ist, dass er diese Erinnerung nie wieder ernsthaft hinterfragt hat.
Nie wieder hat er versucht, seine Kraft auf die Probe zu stellen."
 
Quelle:
Jorge Bucay ? Komm, ich erzähle dir eine Geschichte
Seite 7 bis 9
Fischerverlag
ISBN 978-3-596-17092-0
€ (D) 8,95
€ (A) 9,20